Chaos beim Tauziehen um die Opel-Zukunft

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Kein Stellenabbau in Opels Entwicklungszentrum, eine merkliche Annäherung zwischen Betriebsrat und Opel-Führung: Die Opelaner scheinen sich langsam mit ihrer Mutter General Motors und dem neuen Chef Nick Reilly zu versöhnen. Doch der Schmusekurs übertüncht das Chaos hinter den Kulissen: Ob die präsentierten Sanierungspläne tatsächlich halten, steht nach der Ablösung von Fritz Henderson in den Sternen.

Plötzlich läuft die Zeit rasend schnell: Eigentlich wollte General Motors erst Mitte Dezember sein detailliertes Konzept für Opel präsentieren. Doch in den letzten Tagen sickern immer mehr Details zu GMs Masterplan für Opel durch: Statt 9000 Stellen will GM in Europa nur 8313 Stellen streichen. Opels Forschungszentrum in Rüsselsheim bleibt von der Streichorgie großteils verschont. Doch die ursprüngliche Zusage, Opel ohne Staatshilfen sanieren zu wollen, gilt offenbar nicht mehr.

Zuckerbrot und Peitsche: Mit dieser Taktik und diplomatischem Geschick tastet sich Nick Reilly, der als GMs oberster Vertreter in Europa nun vom Interimschef zum längerfristigen Opel-Chef gemacht wurde, langsam an die Opelaner heran. Seine geschickten Schachzüge lassen sogar viele vergessen, dass GM mit seinen eigenen Versprechen bricht: Bis vor kurzem hieß es noch, dass GM Opel auch ohne Staatshilfen sanieren könnte: Nun will GM insgesamt 2,7 Milliarden Euro an Staatshilfen auftreiben und selbst lediglich 600 Millionen Euro dazugeben. Nur Wirtschaftsminister Rainer Brüderle leistet gegen diese Kehrtwendung deutlich hörbaren Widerstand.

GM-Charmeoffensive mit Erfolg

Mit seinen kleinen Streicheleinheiten in punkto Mitbestimmung und geringerem Stellenabbau gibt Reilly den geschundenen Seelen der Opelaner das Gefühl, auf ihre Bedürfnisse einzugehen. Doch die raue Wirklichkeit sieht abseits von gut inszenierten Betriebsversammlungen anders aus: Bis jetzt hat General Motors noch kein verbindliches Konzept vorgelegt, wie die Marke Opel vom Graben wieder auf die Straße gebracht werden soll.Der plötzliche Führungswechsel an der GM-Spitze in Detroit verheißt ebenfalls nichts Gutes für die Zukunft von Opel – auch wenn Reilly sich in einem Blog-Beitrag nach Kräften bemüht, genau diese Bedenken zu zerstreuen.

Die Gewerkschafter hat Reilly mit seiner Charme-Offensive offenbar schon für sich eingenommen: Trotz allen Hin und Hers gehen die Opel-Gewerkschafter nun auf GM zu. So traten Klaus Franz, der mächtige Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Opel, und Opel-Interimschef Nick Reilly heute gemeinsam vor 9000 Opelanern auf. Reilly hatte – wie bereits bei seiner Charmetour vor gut einer Woche – wieder ein paar gute Nachrichten mitgebracht: In Rüsselsheim versicherte er, dass in „unserem Juwel, dem Entwicklungszentrum“ kaum Stellen abgebaut würden.

Auch bei der  von den Arbeitnehmern geforderten Umwandlung von Opel in eine Aktiengesellschaft deutete Reilly eine mögliche Einigung an. Der Betriebsrat wiederum signalisierte Bereitschaft zu möglichen Lohnzugeständnissen: GM fordert von den europäischen Opel-Mitarbeitern einen Beitrag von 265 Millionen Euro ein – der Großteil davon, rund 177 Millionen, sollen die deutschen Opelaner aufbringen.

Wie will GM eigentlich Opel wieder flott kriegen?

Doch den entscheidenden Punkt bleibt Reilly nach wie vor schuldig: Er hat bisher noch nicht erklärt, wie GM Opel wieder flott kriegen will.

Ein kürzlich präsentiertes Konzept ist bei der Bundesregierung nicht gerade auf Begeisterung gestoßen: Vor zwei Tagen erst kanzelte Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle Reilly mit deutlichen Worten ab. Das der Bundesregierung vorgelegte 41-seitige Opel-Rettungskonzept gebe „zu keiner der für die Zukunft von Opel wichtigen Fragen“ eine Antwort. Opel-Betriebsrat Franz bieten die bislang vorgelegten Pläne „zu wenig Substanz“. Sehr viel deutlicher kann man wohl kaum ausdrücken, dass GM offenbar seine Hausaufgaben noch nicht gemacht hat. Medienberichten zufolge zeigt das GM-Papier auf, wie lange Opel noch Verluste schreiben soll: Im kommenden Jahr soll Opel noch einen operativen Verlust von 862 Millionen Euro schreiben und 2011 in die Gewinnzone zurückkehren.

Diese Zahlen klingen, als hätte sie GM aus dem Magna-Konzept abgeschrieben.

Denn der Sanierungsplan des Autozulieferers, der der WirtschaftsWoche vorliegt, sollte Opel ebenfalls ab 2011 in die Gewinnzone fahren. Bereits damals hagelte es heftige Kritik für die äußerst optimistischen Annahmen, die Magna und GM damals gemeinsam für Opel trafen. Dieses Argument gilt für solche Zahlenspielereien noch heute – und über die wirklich spannenden Zahlen schweigt sich GM bis heute aus: Welche Werke wann geschlossen werden sollen, ist ebenso unklar wie die Summen, die GM für die Entwicklung neuer Modelle oder das Vertriebsnetz ausgeben will.

Genau dabei liegt aber der Knackpunkt für die Zukunft von Opel. Der notleidende Autobauer kann nur Erfolge feiern, wenn GM wirklich zu seiner Europa-Tochter steht und sie auch entsprechend mit Kapital ausstattet. Reilly und die Konzernführung in Detroit sprechen immer wieder von einer Produktoffensive, mit der Opel wieder durchstarten soll. Doch wie viel Geld dafür zur Verfügung stehen wird, bleibt weiterhin im Dunklen.

GM-Personalrochaden verheißen nichts Gutes

Zudem ist in der derzeitigen Situation ohnedies unklar, ob selbst die schwammigen Pläne von GM für Opel halten: Denn erst vor wenigen Tagen hat Ed Whitacre, der GM-Verwaltungsratsvorsitzende, GM-Chef Fritz Henderson vor die Türe gesetzt und selbst das Ruder übernommen.

Whitacre gilt als machtbewusster, aber auch eigensinniger Manager. Er soll die treibende Kraft hinter der Entscheidung gewesen sein, Opel doch nicht an Magna zu verkaufen. Zwar hat er Reilly versichert, dass er mit seinen Sanierungsplänen weitermachen kann. Doch ob der 68-jährige Texaner nicht doch noch mal seine Meinung ändert und härtere Einschnitte bei Opel fordert, lässt sich längst noch nicht absehen.

Mit Whitacres Handstreich ist die GM-Führung jedenfalls deutlich unberechenbarer geworden – und das sollten die Opelaner trotz aller Streicheleinheiten ihres neuen Chefs im Gedächtnis behalten.

Hinweis: Den wortgleichen Artikel finden Sie auch auf wiwo.de: Chaos beim Kampf um Opel

Über den Autor:

Ich bin Wirtschaftsjournalist, entwickle Online-Inhaltsformate und schreibe am liebsten Business-Berichte mit Biss - erzählt in der jeweils passenden Inhaltsform. Dafür nutze ich alle Möglichkeiten, die das Handwerkszeug des Online-Qualitätsjournalismus hergibt. Angeeignet habe ich mir das in mehr als einem Dutzend Jahren beim SPIEGEL-Verlag und der Verlagsgruppe Handelsblatt.

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