Auf der Autoaustellung IAA führte kein Blick an ihnen vorbei. Jeder namhafte Hersteller hatte mindestens ein Konzept-Elektroauto mitgebracht, das nun endlich die energiefreundliche Wende der individuellen Mobilität einläuten soll. Bloß: Erhältlich werden die Fahrzeuge erst in frühestens fünf Jahren sein, hieß es allerorts. In der öffentlichen Wahrnehmung spricht vieles gegen die E-Autos. Sie werden mit einer Tankladung nur 150 Kilometer weit kommen in der Anschaffung vergleichsweise teuer sein und kaum etwas zur CO2-Reduzierung tun können, weil die Stromerzeugung noch immer vergleichsweise schmutzig verläuft.
Solche Punkte lässt Jan Traenckner nicht gelten: Der Experte für Elektromobilität und frühere McKinsey-Berater hat in einem Thesenpapier sechs Mythen der E-Auto-Gegner gründlich wiederlegt.
Mythos 1: Geringe Reichweite von 150 Kilometern
Dass man mit einer Batterieladung nur 150 Kilometer weit fahren kann, sieht Traenckner nicht als Hindernis: Im Gegenteil: Bislang konnten E-Autos nur maximal 80 Kilometer weit fahren, mit den neuen Lithium-Ionen-Akkus hat sich die Reichweite fast verdoppelt. Und damit ist die Massentauglichkeit erreicht: Denn das reicht beim normalen Nutzungsverhalten der Kunden vollkommen aus. Eine Studie eines deutschen Premium-Autoherstellers ergab etwa, dass 75 Prozent der großen Luxusautos pro Tag weniger als 50 Kilometer bewegt werden. Bei kleineren Autos der selben Marke fahren insgesamt 83 Prozent der Kunden weniger als 50 Kilometer pro Tag. Jeden Tag 150 Kilometer Reichweite reichen für fast alle Großstädter locker aus. Deshalb könne das Elektroauto „schon jetzt eine sehr gute Alternative für den täglichen Pendelverkehr sein“, schreibt Traenckner.
Mythos 2: E-Autos werden immer teuer bleiben
Der teuerste Bauteil an einem Elektroauto ist nach wie vor die Batterie: Beim Elektro-Smart (siehe Bild oben) kostet sie alleine 8.000 Euro und damit so viel wie der Rest des Autos. Die Batterieherstellung leidet unter einem Masse-Problem: Noch werden nur geringe Mengen von E-Auto-Energiespeichern erzeugt, was den Preis hoch hält. Doch das dürfte sich bald ändern: Denn das bevölkerungsreichste Land der Erde, China, setzt in großem Stil auf E-Antriebe. In den letzten Jahren sind chinesische Batteriehersteller zu den größten Herstellern von Laptop- und Handyakkus aufgestiegen. Dieses Know-How dürften sie sich auch für E-Autos zunutze machen, die vom chinesischen Staat großzügig gefördert werden. Deshalb rechnet Traenckner damit, dass die Preise für Auto-Akkus bald drastisch fallen werden – wie es bereits bei einst sehr teuren Innovationen wie Flachbildschirmen der Fall war.
Mythos 3: E-Autos tun nichts für die CO2-Reduktion
„Erst wenn die gesamte Stromerzeugung auf erneuerbare Energien umgestellt ist, macht das Elektroauto Sinn“ – dieses Argument wird gerne vorgebracht und ist laut Traenckner grundfalsch. Denn bei der Berechnung der CO2-Bilanz werden oft Äpfel mit Birnen vertauscht. Fakt ist, dass der „Elektroantrieb etwa 2-3 mal so effizient mit der Energie umgeht wie ein Benzinmotor“, so Traenckner. Doch bei der Erzeugung des Stromes, den Elektroautos benötigen, kommt es auf den Energiemix an. Bei dmem in Deutschland derzeit geltenden Mischung zwischen Strom aus CO2-armen Atomkraft- und CO2-reichen Kohlekraftwerken erzeugt ein Elektroauto nur rund 30 Prozent weniger CO2 als ein vergleichbares Dieselfahrzeug. Doch dabei gilt eines: Jede Maßnahme, die den CO2-Ausstoß eines deutschen Kraftwerks verringert, führt automatisch zu einer besseren Energiebilanz aller bislang in Deutschland verkauften Elektroautos.
Mythos 4: E-Autos brauchen ein Netz von Stromtankstellen
Auch ein gerne vorgebrachtes Argument der Elektroauto-Skeptiker entkräftet Traenckner: Elektroautos brauchen viel weniger Infrastruktur als von vielen angenommen. Ein Netz von Stromtankstellen hält er für nicht notwendig – denn die Autos können problemlos an der ohnehin vorhandenen 220-Volt-Steckdose in einer Garage aufgeladen werden. All jene, die ihr Auto am Abend nicht in einer Garage abstellen, könnten ihr Auto dann in der Tiefgarage ihres Arbeitgebes laden, argumentiert Traenckner. Und sollte der Strom tatsächlich mal nicht reichen, werden ganz normale Tankstellen ihre bereits vorhandenen Starkstromanschlüsse für eine Schnellladung zur Verfügung stellen – gegen einen entsprechenden Obulus. Das dürfte ohnedies ein lohnendes Zusatzgeschäft werden: Denn eine Schnellladung dauert 15 Minuten. In dieser Lade-Viertelstunde können die Kunden im Tankstellen-Shop einkaufen oder einen Kaffeetrinken, was den Zapfsäulen-Betreibern zusätzliche Einnahmen bringt.
Mythos 5: Abhängigkeit von seltenen Rohstoffen
Vor allem unter Fachleuten wird diskutiert, ob Elektroautos zu neuen Abhängigkeiten von seltenen Rohstoffen führen. Denn für die Herstellung von Magneten in Elektromotoren werden sogenannte Seltene Erden benötigt, die an nur wenigen Schürforten weltweit abgebaut werden. Zudem wird für heutige Akkus auch in größeren Mengen Lithium benötigt, dessen Gesamtvorkommen weltweit auf nur 15 Millionen Tonnen geschätzt wird. Experten warnen davor, dass die Industrieländer dadurch ihre Abhängigkeit von Ölimporten durch die Abhängigkeit von bestimmten Rohstoffen ersetzen könnten. Traenckner hält solche Warnungen aber für übertrieben: Denn im Gegensatz zu Ölimporten, die im wahrsten Sinne des Wortes verbrannt werden, sind die Rohstoffe in Elektroautos zu beinahe 100 Prozent recyclebar.
Mythos 6: Warten wir auf bessere Technologien
Diese Argumentation, die gerne von den Fürsprechern der Brennstoffzelle vorgebracht wird, bezeichnet Traenckner als „sehr gefährlichen Mythos“. So forscht Toyota an einer Super-Batterie, die zehnmal mehr Energie speichern soll als herkömmliche Lithium-Ionen-Akkus. Und die Brennstoffzellen-Fraktion verspricht weiterhin sehr große Reichweiten mit extrem kurzen Tankvorgängen.
Doch eines bleibt Faktum, stellt Traenckner fest: Auch ein Brennstoffzellenauto ist ein Elektroauto, bloß mit einer deutlich kleineren Batterie. Für einen flächendeckenden Betrieb mit Wasserstoff müsste eine vollständig neue Tankstellen-Infrastruktur geschaffen werden, und das ist extrem teuer. Darüber hinaus kostet die Herstellung von Wasserstoff „so viel Energie, dass die Gesamteffizienz leider miserabel ausfällt“, so der Experte. Für den Stadtverkehr ist die Brennstoffzelle also keine Alternative.
Die Verwendung von Bio-Treibstoffen aus nachwachsenden Pflanzen sieht Traenckner ebenfalls kritisch: Denn sie verbrauchen auf sehr ineffiziente Weise viel Fläche. Würde man auf einem Hektar Anbaufläche für Biotreibstoff in Deutschland Solarzellen aufstellen, könnten Elektroautos mit der dort gewonnenen Energie sechzehn mal so viele Kilometer fahren wie mit dem auf der selben Fläche gewonnenen Biotreibstoff.
Abwarten sei für die Autoindustrie keine Option, mahnt Traenckner am Ende seines Thesenpapiers. Denn die Elektroauto-Pioniere drängen bereits auf den Markt und werden von Regierungen großzügig gefördert – gerade in den USA und China.
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