Welche Versprechen GM bei Opel gebrochen und gehalten hat

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Jetzt sollen die Opelaner nun doch noch auf die Barrikaden steigen – wenn es nach dem Willen der Gewerkschaften geht. Viel hat man ihnen in den letzten Monaten zugemutet, vieles haben sie ohne gröbere Proteste hingenommen: Kaum Widerstand regte sich gegen den harte Sanierungsplan des Beinahe-Opel-Eigentümers Magna, der die Streichung von einem Fünftel der Belegschaft vorsah. Die Empörung über das Platzen des Opel-Verkaufs in letzter Minute verpuffte nach ein paar Protestmärschen. Selbst die monatelange Wartezeit auf einen endgültigen Sanierungsplan nahmen die Opelaner mit einer bewundernswerten Lethargie hin.

Doch nun soll nach dem Willen der Gewerkschaften Schluss sein mit dem Konsenskurs. Für Aufruhr sorgt ausgerechnet die Schließung einer Produktionsstätte, die ohnedies seit Monaten ohne Zukunft war: Antwerpen. Vor wenigen Tagen hat General Motors erklärt, das Werk bis Mitte des Jahres endgültig schließen zu wollen.

Damit hat GM nach Monaten des Herumdrucksens endlich klar ausgesprochen, womit ohnedies die meisten Branchenexperten gerechnet hatten. Doch die Gewerkschaften laufen seither Sturm gegen GMs Schließungspläne. Als „Kriegserklärung“ an alle europäischen Arbeitnehmer bezeichnet Opel-Aufsichtratsmitglied Armin Schild das Aus für Antwerpen. Der Bochumer Opel-Betriebsratschef Rainer Einenkel warnte davor, dass den Beschäftigten noch weitere Einschnitte drohen könnten. Und in einer gestern versandten Presseaussendung protestierten die europäischen Arbeitnehmervertreter von Opel mit scharfen Worten gegen die Werksschließung. Zudem betonten die Gewerkschafter die „lange Geschichte europäischer Solidarität bei gemeinsamen Aktionen“ – im Klartext ist das eine Drohung vor europaweiten Streiks.

Einigung trotz massiver Widerstände?

Opel-Chef Nick Reilly gibt sich trotz des Widerstands unverdrossen: Er erwartet, dass das Sanierungskonzept noch im Februar unterzeichnet werden kann. In den nächsten zwei bis drei Wochen will Reilly sich mit den Gewerkschaften und Betriebsräten einigen. Zeitgleich wird das Konzept auch von den Regierungen geprüft, bei denen Opel insgesamt 2,7 Milliarden Euro Staatshilfe beantragt hat. Reilly hat noch einiges an Arbeit vor sich: Von den Belegschaft fordert der Opel-Chef einen Lohnverzicht von jährlich 265 Millionen Euro über die nächsten fünf Jahre. Dieser Spar-Beitrag ist neben den Staatshilfen ein wichtiger Bestandteil des 3,3 Milliarden schweren Restrukturierungsplan, den das neue Opel-Management ausgearbeitet hat. Doch der Betriebsrat lehnt den Lohnverzicht derzeit wegen der Schließung von Antwerpen ab. Reilly wird den Opelanern also bei einigen anderen Forderungen entgegenkommen müssen – etwa bei der Umwandlung der Adam Opel GmbH in eine Aktiengesellschaft.

Die neuen alten Herren bei Opel holen also nach Monaten des vermeintlichen Zuckerbrots wieder die Peitschen hervor. Der Vorwurf des Wortbruchs an das Opel-Management trifft auf mehrere Entscheidungen zu. Doch in einigen Bereichen erwies sich GM sogar deutlich milder als ursprünglich angekündigt.

  • Schließung von Antwerpen Die Opelaner werfen Reilly und seinem Team vor, dass Belgien der Bau von kleinen Geländewagen im Werk Antwerpen zugesagt worden sei. Reilly verteidigte den Schritt mit nackten Zahlen. 2009 habe Opel etwa 1,1 Millionen Autos hergestellt, zu guten Zeiten seien es 1,4 Millionen Fahrzeuge gewesen. „Selbst wenn wir Antwerpen schließen, haben wir noch immer eine Kapazität von 1,5 Millionen Fahrzeugen“, sagte Reilly. In den nächsten Jahren müssen die Kapazitäten wegen schwacher Nachfrage gesenkt werden.
    Entwarnung für die deutschen Werke will aber bei den Opelanern damit niemand geben. Denn Reilly hat bislang nur erklärt, vorerst keine weiteren Werke schließen zu wollen. Mittelfristig könnten aber auch andere Werke vom Zusperren bedroht sein, fürchtet der Bochumer Betriebsratschef Rainer Einenkel: „Profitieren wird kein einziges Werk. Im Gegenteil: Das ist eine Niederlage für uns alle“, sagte Einenkel vor kurzem.
    Was die Gewerkschaften bei ihrem Proteststurm aber verschweigen: Auch unter dem gerade von den deutschen Betriebsräten favorisierten Opel-Bieter Magna wäre Antwerpen komplett geschlossen worden.
  • Suche nach neuen Chefs Zum Stillstand gekommen ist bei General Motors die Suche nach einem neuen Chef für Opel. Denn der General-Motors-Mann Nick Reilly sollte den Opel-Chefsessel nur vorübergehend innehaben. Das war zumindest die Ansage von Fritz Henderson, dem früheren GM-Chef, als er sich bei den Opelanern für die chaotischen Rückzieher vom Opel-Verkauf an den Autozulieferer Magna entschuldigte. Der neue Chef müsse „Sinn für Abenteuer“ mitbringen, der möglichst deutsch spreche, aber nicht zwingend Erfahrung im Automobilbau vorweisen müsse.
    Kurze Zeit nach dieser Ankündigung musste Henderson selbst seinen Hut nehmen – und damit schlief wohl auch die Suche nach einem Nachfolger für Reilly ein. Erst vor kurzem stellte Reilly sein Management-Team für Opel vor  – das klingt eher danach, als wolle Reilly länger im Sattel bleiben. Der Unwillen über die Entscheidung, Reilly dauerhaft an die Opel-Spitze zu heben, soll bis in die Opel-Führungsetage spürbar gewesen sein.
    Ähnliches spielt sich auch bei GM in den USA ab. Denn nach Hendersons Abgang wollte Opel-Verwaltungsratschef Ed Whitacre nur vorübergehend die Geschäfte führen. Doch seit kurzem ist klar, dass Whitacre wohl länger den Chef geben wird. „Die Suche nach einem Konzernchef endet vorerst“, verkündete Whitacre gestern in Detroit. „Ich mache es für eine Weile.“
  • Präsentation der Sanierungspläne Bei der Beantwortung der Frage, wie GM Opel wieder flottkriegen will, ließ sich das neue Management besonders lange Zeit. Anfang November 2009 hieß es noch, dass GM bis Ende des Monats seine Sanierungspläne vorlegen wolle. Danach wurde der Termin auf Mitte Dezember verschoben. Vor Weihnachten wurde dann Anfang des neuen Jahres als Termin für die Präsentation der Sparpläne genannt. Letztlich ließ sich GM dann bis Ende Januar Zeit, um seine Sanierungspläne zu präsentieren. Doch sehr detailliert ist das, was bislang an die Öffentlichkeit gedrungen ist, noch nicht. Reilly hat sich bisher weder dazu geäußert, welche Stückzahlen er in den nächsten Jahren bei Opel anstrebt. Immerhin stellte er aber klar, dass Opel ab 2011 wieder Gewinne schreiben soll.
  • Neue Produkte, frisches Geld Offener als etwa der frühere Bieter Magna zeigte sich GM bislang bei der Frage, mit welcher Modellpalette Opel künftig punkten will. Reilly kritisierte vor einer Woche, dass Opel ein Einstiegsmodell im Kleinstwagensegment fehle. Zudem brauche Opel einen Nachfolger für den Transporter Combo und habe noch Nachholbedarf bei Hybrid- und Elektroautos. 2010 soll Opel nach Reillys Worten sieben neue Produkte vorstellen, in den nächsten zwei Jahren will er die Opel-Modellpalette zu 90 Prozent erneuern. Wachsen soll Opel künftig auch außerhalb Europas – bislang ist der Autobauer fast ausschließlich in Westeuropa aktiv. Reilly will Opel zudem bei Design und bei der Qualität der Autos voranbringen. Dafür erhält Opel offenbar auch Geld von der US-Mutter: Anfang Januar hat GM 650 Millionen Dollar an Opel überwiesen, das in die Entwicklung neuer Modelle fließen wird.
  • Arbeitsplatzabbau Beim wohl wichtigsten Punkt für die Opelaner zeigte sich GM milder als ursprünglich angenommen. Im November hieß es noch, dass GM die Kosten um 30 Prozent senken und rund 10.000 Arbeitsplätze abbauen wolle. Dabei gibt sich GM nun deutlich bescheidener. Bis 2011 will Reilly bei Opel 8000 Stellen streichen, davon die Hälfte in Deutschland. Weitere Streichungen sind laut Reilly nicht vorgesehen – mit einem Sechstel weniger Belegschaft sieht er sich für die Marktbedingungen des Jahres 2012 gerüstet.

Insgesamt hat GM also in den letzten Wochen seine Krallen ausgefahren – wieder einmal, meinen die Opelaner wohl. Doch nach einer Rückkehr zu den alten Zeiten, in denen GM seine europäische Tochter finanziell aushungern ließ, bahnt sich derzeit nicht an. Es sieht eher danach aus, als wolle GM eine harte Sanierung durchziehen, um Opel tatsächlich zu neuer Blüte zu führen. Sicher ist allerdings nichts bei einem US-Autoriesen, der erst vor kurzem der Insolvenz entkommen ist.

Disclaimer: Der wortgleiche Artikel findet sich auch auf wiwo.de: Trügerischer Frieden bei Opel

Über den Autor:

Ich bin Wirtschaftsjournalist, entwickle Online-Inhaltsformate und schreibe am liebsten Business-Berichte mit Biss - erzählt in der jeweils passenden Inhaltsform. Dafür nutze ich alle Möglichkeiten, die das Handwerkszeug des Online-Qualitätsjournalismus hergibt. Angeeignet habe ich mir das in mehr als einem Dutzend Jahren beim SPIEGEL-Verlag und der Verlagsgruppe Handelsblatt.

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