Dieses Posting ist ein wenig offtopic vom sonstigen Deutschlandbezug – aber um dieses heiße Eisen komme ich einfach nicht herum. Drum schweife ich diesmal in die USA – wo’s ja besonders rasch mit der Berühmtheit gehen kann:
Vor einer Woche konnten nur echte Kenner der amerikanischen Innenpolitik den Namen Sarah Palin richtig zuordnen.
Seit Freitag weiß die ganze Welt, dass Alaska von einer attraktive Gouverneurin und möglichen Vizepräsidentin regiert wird.
Seit Montag ist Bristol nicht mehr nur englische Arbeiterstadt, sondern vor allem ein bedeutungsschwangeres Synonym: Palins Tochter Bristol ist in Windeseile zur berühmtesten schwangeren 17jährigen aller Zeiten mutiert.
Die Sache ist pikant: Denn die stockkonservative Palin ist erklärte Gegnerin von Sexualerziehung an Schulen. Ihre Tochter hat sie offensichtlich im Glauben aufgezogen, dass der Storch die Kinder bringt. Natürlich kann Bristol nicht abtreiben, denn das würde Mamas Karriere ins Babystadium zurückversetzen. Und damit alles in konservative Idyll einer heilen Welt passt, wird Bristol den Erzeuger ihres Kindes namens Levi heiraten. Was anderes bleibt dem Jungen auch kaum übrig – denn sonst würde er wohl von Palins konservativen Häschern zum Traualtar geschleift, wie gehässige US-Kolumnisten meinen.
McCain zeigt sein wahres Gesicht
Die wirklich spannenden Neuigkeiten daran sind nicht die Seifenoper um eine minderjährige Politikertochter – sondern die Nominierung Palins selbst. Denn sie zeigt, aus welchem Holz McCain wirklich geschnitzt ist. US-Medien zweifeln längst am Urteilsvermögen des wahlkämpfenden Vietnamveteranen, dem Palins Schwierigkeiten mit der eigenen Tochter vorab bekannt sein mussten. Zumal weitere dunkle Geschichten auftauchen: Gegen Palin läuft eine Untersuchung wegen möglichen Amtsmissbrauchs, und die konservative Karrierefrau unterstützte selbst einmal eine liberale Kleinpartei.
McCain ist für Wutausbrüche bekannt und präsentiert sich gern als einer, der aus dem Bauch Entscheidungen trifft. Dass seine Entscheidung für Palin nicht unbedingt für seine präsidiale Eignung spricht, ist ein richtiger Punkt.
Doch die wesentliche – wenn auch nicht wirklich überraschende – Erkenntnis liegt woanders: McCain ist nicht der ehrenwerte Kämpfer gegen das Parteien-Establishment, als der er sich so gerne darstellt. McCain ist in seinem tiefen Inneren vor allem ein strategisch denkender Politiker.
Maverick-Image gerät ins Wanken
Mit Palins Wahl als „Running Mate“ gerät McCains sorgsam gepflegtes Image des eigenbrötlerischen Außenseiters gehörig ins Wanken. Palin hat alles, was sich McCains Beraterstab gewunschen hat: Sie ist eine Frau, sie spricht die konservative, religiöse Rechte an, und sie lässt sich kaum mit dem historisch unbeliebten George Bush in Verbindung bringen. Den Wirbel um Palin hat McCains Team vermutlich vorausgesehen. Offenbar haben sie nach der Devise gehandelt: Besser jetzt als später. Und sicherlich werden seine Spin-Doktoren auch die peinliche Schwangerschafts-Pressekonferenz zu einem Beispiel von McCains früher propagiertem „Straight Talk“ ummünzen.
Von dem hat sich McCain meilenweit entfernt. In den ersten Monaten seines Wahlkampfs nannte er seinen Flieger noch „Straight Talk Express“ und baute dort extra eine Couch für Gespräche mit Journalisten. Er gab sich als der Kämpfer, der auch vor unbequemen Themen nicht zurückscheute. Heute beklagen sich etwa die Journalisten des TIME-Magazine, dass sie kaum mehr Zugang zu McCain bekämen. In einem seiner selten gewordenen Interviews zeigte sich McCain abweisend und wortkarg. Der Außenseiter McCain hat sich nach wenigen Monaten als waschechter Konservativer entpuppt.