Die sechs großen Probleme von Mercedes und Daimler

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Dieter Zetsche strotzt vor Zweckptimismus: Daimlers Absatzzahlen im ersten Quartal dieses Jahres zeigen nach oben – und prompt gab der Daimler-Chef auf der heutigen Hauptversammlung ehrgeizige Ziele aus. 2010 will er doppelt so schnell wachsen wie der globale Pkw-Markt, das Ergebnis vor Zinsen und Steuern soll auf 2,3 Milliarden Euro steigen.

Doch ein Blick auf die Geschäftszahlen des vergangenen Jahres, die bereits seit Februar vorliegen, zeichnet ein deutlich nüchternes Bild: 2009 hat der Premiumautobauer einen Verlust von 2,6 Milliarden Euro verbucht.

In diesem Jahr will Daimler seinen Aktionären zwar wieder Dividende zahlen, wie Zetsche heute erklärte. Doch die positiven Meldungen überdecken, dass Daimler weiterhin mit schweren Problemen kämpft. 2010 wird das Schicksalsjahr des Dieter Zetsche: Er muss zeigen, dass er die Probleme von Daimler in den Griff bekommt.

Der schnauzbärtige Firmenchef erläuterte den Daimler-Aktionären heute nochmals Strategie und Ziele. Doch der einst hell strahlende Stern des Autobauers ist in den letzten Monaten gehörig verblasst. Daimler hat ein brutales Sparprogramm auferlegt, neue Allianzen besiegelt und Produktionsverlagerungen angekündigt. Damit sind die Baustellen des Daimler-Konzerns noch nicht begradigt. Zetsche muss Daimler von der Last sechs großer Bürden befreien, damit die Autobau-Ikone ihre alte Strahlkraft zurückgewinnt.

1. Zu hohe Produktionskosten

Was hat Daimler in den letzten Monaten nicht alles versucht, um die Produktionskosten zu drücken. Vorstand und Sanierungsexperte Rainer Schmückle machte mächtig Dampf und schreckte auch nicht vor einstmals heiligen Kühen zurück. Im Dezember gab der Autobauer bekannt, dass sein „Brot-und-Butter“-Auto, die C-Klasse, ab 2014 in Bremen und in den USA produziert wird statt im Stammwerk Sindelfingen.

Insgesamt hat Mercedes im vergangenen Jahr der Jahresbilanz zufolge zwölf Milliarden Euro eingespart. Doch das reichte nicht, um den Umsatzeinbruch von insgesamt 20 Milliarden Euro aufzufangen.

Seinen einstigen „Spar-Kommissar“ Schmückle hat Daimler vor kurzem ziehen lassen. Dafür hat sich Zetsche einen neuen Sanierungsexperten an Bord geholt: Den ehemaligen VW-Markenvorstand Wolfgang Bernhard, der Ende der 1990er-Jahre gemeinsam mit Zetsche am Chrysler-Turnaround werkte. An Chancen, sich zu profilieren, wird es Bernhard nicht mangeln: Denn Daimlers Produktion ist längst noch nicht so flexibel wie jene von Konkurrent Audi. Die Ingolstädter setzen sogenannte modulare Längs- und Querbaukästen quer über Modellreihen ein. Solche Baukastensysteme machen die Produktion deutlich billiger – doch bei Daimler werden sie noch nicht in großem Umfang genützt.

2. Zu wenig Kleinwagen

Einst galt er als Milliardengrab, nun ist er einer von Daimlers Hoffnungen: Mit dem Smart will Daimler endlich im stark wachsenden Segment der Kleinwagen Fuß fassen. Doch Gewinne fährt der Smart keine ein: Das von Zetsches Vorgänger Jürgen Schrempp einst als „Elefantenrollschuh“ verspottete Modell schrieb in den letzten zehn Jahren Insidern zufolge nur ein Mal schwarze Zahlen.

Dabei bräuchte Daimler dringend einen Erfolg im Kleinwagenbereich. Denn in den letzten Jahren haben sich Luxus-Kleinwagen zu einer lukrativen Fahrzeugklasse gemausert. BMWs 1er-Serie etwa verkauft sich ausgezeichnet, ebenso wie die zum Mercedes-Erzkonkurrenten gehörenden Minis. Doch Daimler hat unterhalb der C-Klasse hat der Premiumautobauer nur wenig Aufregendes zu bieten. Die A-Klasse gilt als Fahrzeug für Ältere, ihre Neuauflage soll erst Ende 2012 starten.

Für Premiumautobauer ist es schwierig, einen Kleinwagen mit ähnlich hohen Margen wie ein Luxusmodell zu konstruieren. Doch neben den schieren Verkaufszahlen brauchen sie die Kleinfahrzeuge noch aus einem anderen Grund:

3. Zu hoher CO2-Ausstoß

Ab 2015 dürfen die Neuwagen-Flotten der europäischen Autobauer nur mehr 130 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen. Und solche Vorgaben lassen sich mit vielen neuen Kleinwagen-Modellen nun mal leichter erreichen. Daimlers kürzlich verkündete Allianz mit Renault und Nissan ist ein Schritt in diese Richtung: Denn mit der Zusammenarbeit kann Daimler seine CO2-Probleme leichter lösen, wie wiwo.de vor kurzem berichtete.

Unter allen deutschen Autobauern hat die Daimler-Flotte den höchsten CO2-Ausstoß. Satte 172,5 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer blasen die Daimler-Modelle im Durchschnitt in die Luft.

Mercedes muss also noch hart an der Verbesserung seiner Spritspartechniken arbeiten. Konkurrent BMW ist da deutlich weiter: Dank seiner „Efficient Dynamics“-Initiative in den letzten Jahren liegt der BMW-Flottenausstoß nur mehr bei 156,2 Gramm CO2 pro Kilometer.

Hybrid-Modelle, die den Durchschnitt drücken könnten, hat Mercedes erst vor kurzem auf den Markt gebracht – und bislang ist in Europa auch nur die S-Klasse als Hybridversion erhältlich. Bis 2015 will Daimler aber 15 Prozent seiner Neufahrzeuge mit Hybridantrieb verkaufen.

4. Altmodisches Image

Seit Jahren hat Daimler ein schleichendes Image-Problem: Zwar gilt ein Mercedes nach wie vor als Luxusauto, doch für jüngere Käufer ist die Marke alles andere als attraktiv. Mercedes fahren in der öffentlichen Wahrnehmung vor allem ältere, gutsituierte und graumelierte Hutträger.

Die Erz-Konkurrenten BMW und Audi werden hingegen als deutlich sportlicher und dynamischer wahrgenommen. Die Folge: Jüngere, gutverdienende Manager greifen eher zum Audi- oder BMW-Kombi statt zur Mercedes-Limousine. In einer Studie des Center of Automotive liegt Mercedes’ Beliebtheit bei den 18-25-Jährigen noch hinter dem Massenhersteller Ford. Das Traumauto der Jugendlichen ist ein Audi, zeigt die Studie mit dem Titel „Jugend und Automobil“.

Dieses altbackene Image könnte in den nächsten Jahren deutliche Auswirkungen auf den Daimler-Absatz haben – und deshalb versucht Daimler gegenzusteuern. Zetsche setzt auf die Formel 1 als Imageträger. Erstmals seit 50 Jahren starten in der Formel 1 Mercedes-Werkswagen. Als Fahrer hat Mercedes Rekordhalter Michael Schumacher verpflichtet, bisher allerdings mit mäßigem Erfolg.

Mit dem neuen Flügeltürer SLS hat Mercedes auch ein neues Aushängeschild punkto Sportlichkeit – doch richtig rechnen wird sich der SLS für Daimler kaum.

5. Keine attraktiven Nischenmodelle

Vor einigen Jahren galten Luxus-Geländewagen noch als Statussymbol – doch die Klimadebatte hat gehörig am Lack der Spritschlucker gekratzt. Zwar verkaufen sich Fahrzeuge vom Schlag eines Mercedes M noch gut in Schwellenländern, doch in den Kernmärkten ist der Absatz eingebrochen.

Dabei schätzen viele ältere Kunden die höhere Sitzposition und das einfachere Einsteigen. Die Nachfrage nach Mini-SUVs steigt deutlich, wie wiwo.de berichtete,  solange die Autos deutlich kleiner und spritsparender daherkommen als die bisherigen Vorstadtpanzer.

BMW hat auf diesen Trend rasch reagiert. Seit Ende letzten Jahres feiern die Bayern mit dem X1 Verkaufserfolge, Audi will seinen Mini-SUV Q3 ab 2011 auf den Markt bringen. Bei den Stuttgartern lässt man sich hingegen Zeit: Erst zu Verkaufsstart der neuen A-Klasse, also Ende 2012, will Mercedes auch mit einem Klein-Geländewagen punkten – ein wenig spät für den Mini-SUV-Trend, meinen Experten.

6. Verunsicherte Belegschaft wegen hartem Sparkurs

Kosten kürzen, was geht: Das war im vergangenen Jahr die Devise von Dieter Zetsche. Doch viele seiner Kürzungen gingen auf Einmal-Effekte wie aufgeschobene Lohnerhöhungen, gekürzte Sozialabgaben oder massenhafte Kurzarbeit zurück.

Die Verlagerung der C-Klasse-Produktion nach Bremen erkaufte sich Zetsche mit teuren Zugeständnissen an die Belegschaft: Für die Mitarbeiter in Sindelfingen gibt es eine Arbeitsplatzgarantie bis 2020.

Doch mit den bisher verkündeten Maßnahmen dürfte es noch nicht getan sein: Wie die WirtschaftsWoche im Oktober letzten Jahres berichtete, hat der Konzern intern mehr als 20 gefährliche Brandherde identifiziert. Die Kosten für Forschung und Entwicklung sind zu hoch, die Produktion ist ineffizient, die Gewinnmargen sind zu niedrig. Unklar ist, wofür die Marke Mercedes steht, im Mittelklasse-Segment fehlen Modelle und die Stimmung im Unternehmen ist schlecht.

Zetsche tritt hart in die Kostenbremse: So werden Managern angeblich Direktflüge in die USA verweigert, wenn Alternativflüge mit mehrstündigen Zwischenstopps um einen zweistelligen Euro-Betrag billiger sind. Trotzdem leistet sich der Konzern noch immer technologische Sonderlösungen, die auf die Margen drücken. Bis vor kurzem wollte Daimler bei der neuen A-Klasse keine mit anderen Herstellern gemeinsam nutzbare Fahrzeugplattform einsetzen. Das sieht seit der Überkreuzbeteiligung mit Renault und Nissan nun schon etwas anders aus. Renault-Chef Carlos Ghosn hat durchblicken lassen, dass die Partnerschaft möglicherweise auf die A-Klasse ausgedehnt werde

Doch um den Daimler-Stern wieder glänzen zu lassen, reichen Kooperation und Sparen nicht aus. Zetsche muss er auch in neue Technologien und neue Modelle investieren. Für das Jahr 2010 ist Daimler dank der Liquidität im Industriegeschäft gut gerüstet. Doch der Polster wird rasch abschmelzen. Denn bis 2011 will Daimler 8,1 Milliarden Euro für Sachinvestitionen ausgeben. Die Themen Elektroantrieb und Kleinwagen stehen dabei im Vordergrund. Ob das der Aufbruch zu einer neuen, glanzvollen Epoche wird, werden die nächsten Monate zeigen.

Disclaimer: Diese Story finden sie auch als Bildergalerie auf wiwo.de: Daimlers größte Baustellen

Über den Autor:

Ich bin Wirtschaftsjournalist, entwickle Online-Inhaltsformate und schreibe am liebsten Business-Berichte mit Biss - erzählt in der jeweils passenden Inhaltsform. Dafür nutze ich alle Möglichkeiten, die das Handwerkszeug des Online-Qualitätsjournalismus hergibt. Angeeignet habe ich mir das in mehr als einem Dutzend Jahren beim SPIEGEL-Verlag und der Verlagsgruppe Handelsblatt.

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