Warum Daimler trotz guter Zahlen nicht überall glänzt

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Zum dritten Mal in diesem Jahr hat Daimler seine Prognose angehoben. Der Mercedes-Stern beginnt wieder zu glänzen, doch einige Baustellen hat Daimler-Chef Zetsche noch vor sich. Was gut läuft – und was besser werden muss.

Noch Anfang dieses Jahres hatte Daimler-Chef Dieter Zetsche wenig zu lachen: Das Horrorjahr 2009 bescherte Daimler einen Absatzeinbruch von zehn Prozent. Harte Kostensenkungen in Höhe von fünf Milliarden Euro sorgten intern für heftige Diskussionen. Die monatelange Kurzarbeit hat an den Nerven der Belegschaft gezehrt.

Doch nun scheinen die dürren Jahre vorüber: Von Januar bis März hat Daimler einen Überschuss von 612 Millionen Euro erzielt, im zweiten Quartal ist der Überschuss auf 1,3 Milliarden Euro gewachsen. Bei Mercedes hat der Absatz von Personenautos und Nutzfahrzeugen im 2. Quartal im Vergleich zum Vorjahr um satte 27 Prozent zugelegt. Kein Wunder, dass Daimler-Chef Zetsche heute die Prognose für das Gesamtjahr zum dritten Mal in diesem Jahr anhob: 2010will der Konzern ein Ergebnis vor Zinsen und Steuern von sechs Milliarden Euro abliefern. Mitte Juli hatte Zetsche noch von vier Milliarden Euro gesprochen.

Die Marke Mercedes konnte ihren Absatz im 2. Quartal um 19 Prozent auf 342.500 Fahrzeuge steigern. Kunden kaufen plötzlich genau jene teuren S- und E-Klasse-Modelle, die bis vor kurzem als Ladenhüter galten. Vor allem in China fährt die Marke mit dem Stern von Absatzrekord zu Absatzrekord.

Läuft also plötzlich wieder alles rund bei der Marke mit dem Stern? Ist der Ruf Dieter Zetsches als exzellenter Sanierungs-Manager berechtigt? Dem schnauzbärtigen Daimler-Chef kann man eines auf jeden Fall hoch anrechnen: Er hat die Krisenjahre genützt, um mit einem rigiden Sparkurs die variablen Kosten kräftig zu senken. In das Nutzfahrzeuggeschäft mit schweren und leichten LKWs haben die Schwaben früh investiert. „Das wird ihnen in diesem Jahr viel Freude machen“, meint der Autoexperte Christoph Stürmer vom Prognoseunternehmen IHS Automotive. Vor allem der Transporter Sprinter, den Mercedes in den USA als eigene Fahrzeugklasse etabliert hat, setzt „seinen Siegeszug jetzt weltweit fort“, ist Stürmer überzeugt.

Doch die Zukunft des Hauses Daimlers glänzt deshalb längst noch nicht golden. Denn Zetsche kommt beim Wiedererstarken seines Kerngeschäfts teils auch der Zufall zu Hilfe. Und einige Baustellen des Konzerns sind nach wie vor ungelöst.

Weltkonjunktur als Premium-Treiber

Die teuren Mercedes-Modelle verkaufen sich nicht deshalb plötzlich so gut, weil die Kunden reumütig zur sprichwörtlichen Mercedes-Qualität zurückkehren. Dass die Nachfrage im Oberklasse-Segment plötzlich zurückkehren würde, war unter Autoexperten klar – die Frage war bloß, wann. Mit der größeren Zuversicht in den USA und China scheinen sich nun die Anschaffungsbremsen zu lösen, die Wohlhabende in Zeiten der Finanzkrise fest angezogen hielten.

Teure Luxuskarossen werden nicht aus dem Sparstrumpf bezahlt, sondern entweder mit privater Finanzierung oder als Investitionsobjekt erworben. Investitionen in eine neue S-Klasse-Limousine wurden von vielen einfach aufgeschoben – jetzt sind Firmen und Privatleute wieder zuversichtlicher.

Doch der deutliche Anstieg im zweiten Quartal dürfte sich so nicht fortsetzen. „Das ist eine Überreaktion“, sagt Autoexperte Stürmer. Er geht davon aus, dass die Absatzzahlen für Premiumautos im 3. und 4. Quartal wieder schwächer ausfallen. Zudem besteht die Gefahr, dass die Konjunktur wieder einbricht, weil die Finanzmärkte noch nervös sind und sich durch schlechte Nachrichten schnell verunsichern lassen.

Wachstum in China bringt nicht immer Gewinne

Den deutschen Autoherstellern kommt in diesem Jahr der schwache Euro zugute. Einer Studie der Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers sollen in diesem Jahr 20 Prozent mehr Autos von den Bändern rollen als noch im letzten Jahr. Weltweit sollen 68,7 Millionen Neuwagen produziert werden. Fast ein Fünftel dieser Menge kommt aus China, wo die Auto-Nachfrage in der ersten Jahreshälfte um 40 bis 50 Prozent wuchs. Vom Interesse der Chinesen an prestigeträchtigen Oberklasse-Fahrzeugen profitieren vor allem die deutschen Premium-Autobauer.

Daimler ist sehr stolz auf seine hohen Wachstumsraten in China, dem mittlerweile wichtigsten Absatzmarkt für Premiumautos. Laut Zahlen von IHS Automotive hat Mercedes 2009 rund 65.000 Fahrzeuge im Reich der Mitte verkauft, in diesem Jahr sollen es 93.000 werden. Erzkonkurrent BMW lag im letzten Jahr bei den China-Verkäufen deutlich vor Daimler, erst im Jahr 2011 gleichen sich die beiden Premium-Autobauer an. Audi liegt wegen der großen Produktionskapazitäten in China weit vor den beiden.

Doch hohe Verkaufszahlen in China sind nicht immer gleichbedeutend mit hohen Gewinnen. Werden die Fahrzeuge vor allem in China produziert, ist es für die Konzernmütter sehr schwer, die Gewinne ins Mutterland zu bringen. Bei chinesischen Joint Ventures gehöre es zum guten Ton, dass man die erzielten Überschüsse wieder reinvestiere, sagen Fachleute. Die größten Margen erzielen die Autobauer also, wenn sie Fahrzeuge direkt exportieren. Mercedes kam im vergangenen Jahr auf 49.000 Direktexporte, wie die Zahlen von IHS Global Insight zeigen. In diesem Jahr will der Konzern 35.000 Fahrzeuge direkt in China produzieren und 58.000 aus Deutschland nach China importieren. Die Produktion im Land wird zwar die Absatzzahlen deutlich nach oben bringen – doch die Gewinnsteigerung aus dem China-Geschäft wird geringer als das Absatzplus ausfallen.

Zu klein für den Weltmarkt, zu teuer in der Entwicklung?

Mercedes ist nach wie vor die Automarke mit der weltweit größten Strahlkraft. Doch mit jährlich knapp über einer Million verkaufter Fahrzeuge kann Daimler mit den echten Schwergewichten der Branche nicht mithalten: Toyota setzt jährlich rund zehn Millionen Fahrzeuge ab, VW liegt bei 6,3 Millionen verkaufter Autos. Experten halten einen Jahresabsatz von zwei Millionen Fahrzeuge für die Untergrenze, um langfristig überleben zu können. Daimler liegt gerade mal bei der Hälfte, doch seine Erzkonkurrenten spielen in derselben Liga: BMW will in diesem Jahr 1,4 Millionen Fahrzeuge verkaufen, Audi will deutlich über einer Million Autos ausliefern.

Speziell Daimler und BMW kommen die geringen Absatzzahlen bei der Produktentwicklung teuer zu stehen. Während sich etwa Audi großzügig bei Bodenplatten oder Antriebssträngen der Konzernmutter VW bedienen kann, muss Mercedes seine Bauteile aufwändig selbst entwickeln.

Zetsche weiß um diese Schwäche – und versucht mit Allianzen und Kooperationen gegenzusteuern. Gestelle für Autositze will Zetsche nun gemeinsam mit BMW einkaufen, nachdem weiterreichende Kooperationspläne vor einigen Monaten gescheitert sind. Bei den zukunftsträchtigen Kleinwagen setzt  Zetsche nun auf eine Überkreuzbeteiligung mit Renault und Nissan. Doch fraglich ist, ob er mit seinen neuen Partnern glücklich ist. Ob Mercedes-Kunden tatsächlich Renault- oder Nissan-Bauteile in ihren Fahrzeugen akzeptieren werden, zeigen die nächsten Jahre. Im April dieses Jahres sprach Zetsche von „deutlichen Gewinnen für beide Seiten“ – doch so richtig Konturen angenommen haben seine Worte noch nicht. Fraglich bleibt, ob sich die Mercedes-Klientel mit Renault-Motoren in den neuen Baureihen der A- und B-Klasse anfreunden kann. Außerdem muss Daimler erst mal herausfinden, wie man im zukunftsträchtigen Kleinwagen-Geschäft tatsächlich hohe Margen erzielen kann – ein Problem, dass der Autobauer mit anderen Premium-Herstellern teilt.

Kleinwagenproblem smart gelöst

Eine richtungsweisende Änderung hat Zetsche durch die Renault-Kooperation allerdings vorgenommen: Daimlers Kleinstwagen Smart wird neu aufgestellt und soll künftig eine Plattform mit Renaults Mini-Flitzer Twingo teilen. Das sichert die Zukunft des einst als “Elefantenrollschuh” verunglimpften Autos. Mit dem Smart war Daimler seiner Zeit voraus: Bereits vor zehn Jahren hatte der Autobauer, der eigentlich für große Motoren steht, einen Flitzer mit extrem niedrigen CO2-Werten im Programm. Der Smart kann also als Vehikel dienen, um Mercedes CO2-Flottenausstoß deutlich zu senken. Deshalb ist die Marke für Daimler sehr wichtig – und wohl auch deshalb stellt Daimler den Smart nun auf solide Beine.

Mit aller Macht Richtung neue Antriebstechnologien

Lange hat man bei Daimler wenig in Richtung Elektroantrieb und Umweltschutz vernommen – nun erwähnt Konzernchef Dieter Zetsche bei jeder Gelegenheit, wie viel der Autobauer ressourcenschonende Antriebe investiere. Noch sprechen die nackten Zahlen aber eine andere Sprache: Bei den CO2-Werten der gesamten Flotte liegt Daimler noch immer hinter seinen Konkurrenten. Auf 160 Gramm CO2-Ausstoß pro Kilometer hat Daimler seine Motorenpalette getrimmt. Doch BMW kommt auf 151, Audi auf 155 Gramm. Bis 2012 muss der Wert auf 136 Gramm sinken, sonst drohen EU-Strafzahlungen.

Daimler will das mit besseren Motoren, Elektro-, Hybrid- und Brennstoffzellenantrieben schaffen. Doch die S-Klasse mit Hybridmotor soll erst 2012 auf den Markt kommen – lange nach den Hybrid-Versuchen der Toyota-Edelmarke Lexus.

„Im Zug der Hybriddiskussion hat Daimler ganz schön Federn gelassen“, urteilt der Autoexperte Stefan Bratzel. „Doch nun geht Daimler das massiv an.“ Beim Thema Antriebstechnik halte sich der Konzern viele Optionen offen. Dabei kommt Daimler seine jahrelange Brennstoffzellen-Forschung zugute. Da bei Brennstoffzellen-Autos der Antriebsstrang elektrisch ist, hat Daimler bereits einiges an Erfahrung gesammelt.

Dennoch gibt es gerade in diesem Bereich auch einige seltsame Entscheidungen der Unternehmensführung. So wird die Sandwichbauweise der A-Klasse-Bodenplatte nun just zu jenem Zeitpunkt aufgegeben, in dem man den Hohlraum sinnvoll mit Batterien, Range Extendern oder Wasserstofftanks füllen könnte.

Große Vision fehlt

Bei aller persönlichen Ausstrahlung, die der oft jovial auftretende Dieter Zetsche für seinen Job mitbringt: Einprägsame Ziele hat er für Daimler noch kaum ausgegeben. Volkswagen will bis 2018 weltgrößter Autobauer werden, Toyota will genau diese Position halten – doch was will Zetsche für Daimler?

„Mir fehlt langfristig noch die große Vision, wo es hingehen soll“, sagt Autoexperte Bratzel. Zetsches Vorgänger Jürgen Schrempp wollte mit Chrysler einen globalen Weltkonzern schmieden – eine Idee, die teuer scheiterte. Vor solchen Experimenten hütet sich Zetsche wohlweislich. Doch ein wenig Orientierung täte der schwäbischen Autoikone schon gut. Immerhin hat er Mercedes vor kurzem einen neuen Werbeslogan verpasst: „Das Beste oder nichts“, heißt es nun bei der Stern-Marke. Doch ob ein solch luftiger Spruch tatsächlich für die Zukunft trägt, muss sich noch weisen.

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Über den Autor:

Ich bin Wirtschaftsjournalist, entwickle Online-Inhaltsformate und schreibe am liebsten Business-Berichte mit Biss - erzählt in der jeweils passenden Inhaltsform. Dafür nutze ich alle Möglichkeiten, die das Handwerkszeug des Online-Qualitätsjournalismus hergibt. Angeeignet habe ich mir das in mehr als einem Dutzend Jahren beim SPIEGEL-Verlag und der Verlagsgruppe Handelsblatt.

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