Es war geradezu gespenstisch: Eines Abends ging ich zufällig an einem Toyota Prius vorüber, in dem ein Mann saß. Plötzlich setze sich das Hybridfahrzeug wie von Geisterhand angetrieben in Bewegung: Völlig lautlos fuhr der Mann aus seiner Parklücke, erst nach etlichen Metern sprang plötzlich der Benzinmotor an.
Solche tonlosen Szenen könnten in wenigen Jahren zum Alltag gehören. Denn die lautesten Geräusche, die Elektroautos erzeugen, stammen vom Abrollgeräusch der Reifen. Straßenlärm-Geschädigte könnten sich deshalb in naher Zukunft auf ruhigere Zeiten einstellen – wenn da nicht ein klitzekleines Sicherheitsproblem gäbe. Denn je leiser das Auto, desto höher ist die Unfallgefahr für Fußgänger, warnen Experten.
Und dazu gibt es bereits erste Untersuchungen. Wie der Blog sustainable-mobility.org berichtet, kam eine 2008 durchgeführte Studie der Universität Kaliforniens und des US-Blindenverbands zu alarmierenden Ergebnissen: Ein mit 10 km/h fahrendes Elektroauto wird von Personen erst ab 20 Metern Entfernung wahrgenommen. Ein Auto mit Verbrennungsmotor wird hingegen bereits bemerkt, wenn es noch 100 Meter entfernt ist.
In den USA haben bereits einige Blindenverbände und Vereinigungen der Automobilhersteller auf dieses Thema aufmerksam gemacht – und bereits erste Verbündete im Kampf gegen zu leise Autos gewonnen. Die US-Verkehrsbehörde rechnet bereits damit, dass Hybrid- und Elektrofahrzeuge doppelt so oft in Unfällen mit Fußgängern verwickelt sein werden wie Autos mit Verbrennungsmotoren.
Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten liegt deshalb bereits eine Gesetzesvorlage vor, die einen minimalen Geräuschpegel für Elektroautos vorschreiben will. Eingebracht wurde der Vorschlag von zwei politischen Schwergewichten: Senator John Kerry war 2004 der Präsidentschaftskandidat der Demokraten. Der zweite Initiator, Arlen Specter, war bis 2009 der dienstälteste Republikaner im US-Senat. Beide Politiker sind für ihr Engagement in Umweltfragen bekannt – und haben eine gewichtige Stimme in der US-Politik.
Die Elektroauto-Pioniere haben darauf bereits reagiert. Nissan, dessen Elektroauto Leaf seit kurzem in den USA bestellt werden kann, stattet sein Fahrzeug nun von Haus aus mit Klangeffekten aus. Über 100 Sounds haben die Nissan-Ingenieure durchprobiert, bevor sie auf das künftige Betriebsgeräusch des Leaf geeinigt haben (Klangproben dazu hier). Einem „sanften Heulen“ ähnle der Klang, beschreibt es die US-Zeitung Washington Post etwas sarkastisch. Beim Rückwärtsfahren sondert der Leaf Klänge ab, die an das Herunterlassen einer Bahnschranke erinnern.
Auch in Europa sind bereits erste Feldversuche gestartet. Der deutsche Tuning-Spezialist Brabus aus Bottrop hat seine Version des Tesla Roadster bereits 2008 mit einem Space Sound Generator ausgestattet. Die Crew an Bord kann so zwischen vier Motorengeräuschen wählen – vom kernigen Röhren eines V8-Zylinders bis zum Klangmodus „Warp“, der eher an Raumschiff Enterprise erinnert.
Auch die britische Firma Lotus, bekannt für ihre Sportwagen, hat bereits ein Soundsystem für Elektromobile entwickelt. Bei dem Safe&Sound genannten System ahmt ein Synthesizer den Klang eines Verbrennungsmotors nach. Ein wasserdichter, 300 Watt starker Lautsprecher unterhalb der Stoßstange beschallt damit die Straße. Der Synthesizer erkennt, wenn das Gaspedal durchgedrückt wird – und ahmt dann das Beschleunigungsgeräusch akustisch nach.
Die Vision flüsterleiser Straßen wird so wohl ein Traum bleiben. Zumal auch die Europäer dem amerikanischen Klang-Vorbild folgen wollen, wie der britische Telegraph vor einiger Zeit berichtete.
Doch immerhin wird das monotone Geräusch aufheulender Motoren in den nächsten Jahren deutlich vielfältiger werden. Denn die erlaubten Klänge dürften von konventionellen Motorenbrummen bis hin zu futuristischen, Star-Wars-ähnlichen Klängen reichen.
Bleibt nur zu hoffen, dass die Elektroauto-Hersteller keine Anleihen bei den Handyproduzenten nehmen. Die haben aus der Kakophonie der Klingeltöne ein einträgliches Geschäft gezimmert. Was wäre das für ein Gesumme, wenn die Autohersteller auf diesen Zug aufspringen. Denn die Verlockung, Kunden mit individuell veränderbaren Motoren-Tönen das Geld aus der Tasche zu ziehen, wird wohl groß sein. Heute Ferrari-Motor, morgen Raumgleiter-Zischen – Individualität sollte doch auch ihre Grenzen haben.
Disclaimer: Die wortgleiche Story finden Sie auch in dem von mir initiierten Elektroauto-Blog Wattgetrieben auf wiwo.de: Brumm-Brumm oder Piep-Piep: Wie Elektroautos klingen sollen
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