Bertelsmann: 175 Jahre und kein bisschen Krisenstimmung

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Ob RTL oder Stieg-Larsson-Bücher, Musikrechte an Elvis oder die Illustrierte „Stern“: Fast jeder Deutsche hat täglich mit den Medienerzeugnissen aus dem Hause Bertelsmann zu tun. Nun herrscht Feierlaune bei Europas größtem Medienimperium: Bertelsmann ist heute exakt 175 Jahre alt. Die Westfalen aus Gütersloh haben allen Grund zu feiern: Während andere Medienhäuser weiter mit der Krise hadern, steht Bertelsmann vergleichsweise gut da.

Mehr als 50 Länder versorgt der Medienriese mit dem Hauptsitz im westfälischen Gütersloh mit Fernsehen, Büchern, Zeitschriften und Dienstleistungen. Sogar bei der Behörden- Auskunft 115 sitzen häufig Bertelsmann-Dienstleister am anderen Ende der Leitung. Dabei startete das Unternehmen als Ein-Mann-Betrieb. Ein Rückblick in 175 Jahre wechselvolle Firmengeschichte.

1850-1930

Gestartet hat das Unternehmen ein Mann: Der Drucker und Buchbinder Carl Bertelsmann (1791- 1850) gründete den Verlag im Jahr 1835. Er brachte Liedersammlungen und christliche Schriften heraus.

Sein Sohn Heinrich Bertelsmann erweiterte das Verlagsprogramm um Philologie, Geschichte und Jugendliteratur. Danach übernahm sein Schwiegersohn Johannes Mohn das Unternehmen. Dessen Sohn Heinrich modernisierte den Verlag und nahm Ende der 1920er-Jahre auch Belletristik ins Programm auf.

1930-1944

In Deutschland düsteren Jahren von 1930 bis 1944 liefen Bertelsmanns Geschäfte gut. Der Verlag gab völkisch-nationale, teils auch antisemitische Literatur heraus – ein Geschäft, das offenbar durchaus mit der christlich-konservativen Tradition des Hauses kompatibel war. Bertelsmann stieg bald zum größten Buchlieferanten der Wehrmacht auf. Im Jahr 1944 wurde der Verlag vorübergehend geschlossen – Grund war ein Prozess wegen illegaler Beschaffung von Papiervorräten. 1945 wurden die Produktionsstätten durch einen Bombenangriff völlig zerstört.

1945-1959

Nach Ende des Krieges begann sofort der Wiederaufbau der Verlagsgebäude. Im Jahr 1946 erteilten die Briten Bertelsmann eine Verlagslizenz in ihrer Besatzungszone. Heinrich Mohns Sohn Reinhard übernahm den Verlag im Jahr 1947, als er aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft zurückkehrte.

Mit der Gründung eines Leserings im Jahr 1950 läutete er eine neue Ära der Unternehmensgeschichte ein. Der Erfolg des Leserings schuf die Grundlage für Reinhard Mohns spätere Initiativen im Bereich Mitgliederbetreuung, Musik, Adressenbewirtschaftung und Logistik. Mitten in den Wirtschaftswunder-Jahren stieg Bertelsmann ins gewinnträchtige Tonträger-Geschäft ein. Im Jahr 1958 gründeten die Gütersloher das Schallplattenlabel Ariola.

1960-1979

1964 kaufte Bertelsmann die Ufa—Filmproduktionsgesellschaft und stieg so in den Filmsektor ein. Im selben Jahr startete auch der Club-Reisedienst für Lesering-Mitglieder. Fünf Jahre später beteiligte sich Reinhard Mohn mit 25 Prozent am Hamburger Verlagshaus Gruner & Jahr, das er 1973 mehrheitlich übernahm. Am 1. Juli 1971 wurde die Bertelsmann AG gegründet. Im Jahr 1977 erwarb Bertelsmann die Mehrheit am damals weltgrößten Verlag Bantam Books – und legte so deutlich an internationalem Gewicht zu.

1980 – 1990

Zu seinem 60. Geburtstag im Jahr 1981 übergab Reinhard Mohn die Bertelsmann-Leitung an Manfred Fischer, bis dahin Chef von Gruner und Jahr. Ihm folgte zwei Jahre später Mark Wössner. Doch im Hintergrund zog Patriarch Mohn weiter die Fäden. Im Jahr 1984 stieg Bertelsmann ins Privatfernsehen ein: Von Beginn an war der Medienkonzern an RTL plus beteiligt, der am 2. Januar 1984 zum ersten Mal in Deutschland sendete.

Zwei Jahre später erwarb Bertelsmann das US-Plattenlabel RCA und den US-Verlag Doubleday. Damit war der Durchbruch auf dem amerikanischen Markt geschafft. Kurz darauf bündelte der Medienkonzern seine Musikaktivitäten im Label BMG.

1990-1999

Die Wiedervereinigung Deutschlands und das Ende des kalten Krieges nutzte Bertelsmann zur Expansion Richtung Osteuropa. 1993 übertrug Reinhard Mohn 68,8 Prozent der Unternehmensanteile auf die von ihm gegründete Bertelsmann-Stiftung. Dank dieser Konstruktion bestimmt die Familie Mohn bis heute über die Geschicke des Konzerns.

1995 stieg Bertelsmann zusammen mit AOL in Europa ins Internet-Zugangsgeschäft ein. Drei Jahre später verkaufte Bertelsmann die Anteile für 1,4 Milliarden Euro zurück an AOL.

Im Jahr 1998 übernahm Bertelsmann den Verlag Random House in New York. An der Vorstandsspitze gab es einen Wechsel: Thomas Middelhoff folgte Mark Wössner nach.

2000-2002

Middelhoff trat mit einem hehren Ziel an: Er stattete bis zum Jahr 2000 jeden Mitarbeiter mit einem PC samt Internetanschluss für zu Hause aus. Auf Middelhoffs Konto geht auch der Aufbau der RTL Group, heute Europas größter Betreiber von werbefinanziertem Privatfernsehen.

Doch Middelhoff legte auch Fehlschläge hin: Am Höhepunkt der Internet-Euphorie beteiligte sich Bertelsmann an der Musiktauschbörse Napster – ein Deal, der Middelhoff schon damals viel Kritik und Gerichtsverfahren einbrachte. Bald zog Bertelsmann im Internet-Geschäft die Notbremse. Knapp vor dem Zusammenbruch der New Economy verkaufte Bertelsmann mit hohem Gewinn seine Anteile an AOL Europe.

Middelhoffs Stern begann bald zu sinken: Wegen Differenzen über die zukünftige Strategie und einen möglichen Börsengang überwarf er sich mit Patriarch Mohn und verließ das Unternehmen 2002.

2003-2007

Sein Nachfolger Gunther Thielen, bis dahin Chef der Servicesparte Arvato, leitete einen klaren Strategiewechsel ein. Er schloss das unselige Kapitel Napster, indem er das Unternehmen bewusst in die Insolvenz schickte. Thielen konzentrierte Bertelsmann wieder stärker auf das Kerngeschäft. Den Musikverlag BMG Music Publishing verkaufte Bertelsmann im Jahr 2006 an Vivendi, zwei Jahre später stieg Bertelsmann unter seinem neuen Frontmann Hartmut Ostrowski aus dem Joint Venture Sony BMG Music Entertainment aus. Die „neue“ BMG konzentriert sich nun auf das Management von Musikrechten.“

2008-2010

Im Jahr 2008 übernahm Hartmut Ostrowski den Vorstandsvorsitz von Thielen. Der ehemalige Chef Bertelsmann-Dienstleistungssparte Arvato setzt seit seinem Amtsantritt auf organisches Wachstum. Wenige Monate nach seinem Amtsantritt bekam Bertelsmann die Folgen der einsetzenden Wirtschaftskrise zu spüren: Umsatz und Gewinn zeigten nach unten. Ostrowski rief deshalb 2009 das größte Sparprogramm der Firmengeschichte aus – mit einigem Erfolg: Der Jahresumsatz der Gruppe lag trotz der schweren Medienkrise 2009 recht stabil bei 15,4 Milliarden Euro. Doch wegen hoher Abschreibungen blieb unter dem Strich nur eine schwarze Null übrig. Die Tochter Gruner + Jahr musste erstmals einen Verlust ausweisen.

2010 soll alles anders werden. Das Netto-Ergebnis wird den Planungen zufolge zwischen 400 und 500 Millionen Euro liegen. In den ersten drei Monaten des laufenden Jahres habe Bertelsmann ein Rekordquartal hingelegt, brachte Ostrowski Anfang dieser Woche beim „medienforum.nrw“ in Erinnerung. „Und ich darf drei Tage vor Ende des Halbjahres hinzufügen: Wir sind auch nach sechs Monaten weiter auf einem sehr guten Kurs.“

Nach dem Tod von Reinhard Mohn im Jahr 2009 überwacht nun seine Frau Liz Mohn, ob Ostrowski sein Versprechen hält. Die 69- Jährige will ihre Machtfülle 2016 an die sechste Generation abgeben. Dann darf sie bestimmen, wer ihr nachfolgt. Kandidaten sind Tochter Brigitte (46) und Sohn Christoph (44).

Disclaimer: Den wortgleichen Text mit Bildern finden Sie als Bildergalerie 175 Jahre Bertelsmann auf wiwo.de

Über den Autor:

Ich bin Wirtschaftsjournalist, entwickle Online-Inhaltsformate und schreibe am liebsten Business-Berichte mit Biss - erzählt in der jeweils passenden Inhaltsform. Dafür nutze ich alle Möglichkeiten, die das Handwerkszeug des Online-Qualitätsjournalismus hergibt. Angeeignet habe ich mir das in mehr als einem Dutzend Jahren beim SPIEGEL-Verlag und der Verlagsgruppe Handelsblatt.

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